Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Umschlag des Sommerheftes 2025 gibt schon einen Hinweis auf den »meeroffenen Horizont«, den Uwe Salzbrenner in den Bildern des Dresdner Malers Stefan Lenke entdeckt: »ein kühles Leuchten, das von der Romantik, von Caspar David Friedrich herkommt, aber auch vom Smartphone-Bildschirm«. Marcus Roloffs »sardische notiz« bildet dazu eine Art lyrischen Kommentar, wie auch Hendrik Jacksons fragile »Ilucidationes«, in denen »das den Himmel zum Himmel – spiegelnde / das, in die Bucht – wuchtende / das sich selbst anziehende und – versinkende / Meer, das s c h w a p p e n d e« beschworen wird.

OSTRAGEHEGE freut sich besonders, zwei ukrainische Dichter präsentieren zu können, zwischen deren Wirken fast hundert Jahre liegen. In vier Sonetten aus den Jahren 1921 bis 1933 stellt Urs Heftrich den im deutschen Sprachraum wenig bekannten Mykola Zerov vor. Dazu passend scheint Juri Andruchowytschs »Alte Fabrik«: »auf scherben blitzt zum letzten mal der abend / und im moment wo hebel knirschend gleißen / werden die proletarier der welt als leichen / aus luken kriechen und den schutt besteigen / und rote frösche in die becken schmeißen«. Der hierzulande als Romancier viel gelesene Andruchowytsch tritt in der Ukraine auch als Dichter auf. Adrian Wanner hat zwei seiner Gedichtzyklen erstmals ins Deutsche übertragen.

»Humor ist für mich eine Möglichkeit, mit all dem Schrecken umzugehen«, sagt Dana von Suffrin, die diesjährige Chamisso-Preisträgerin, im Interview mit Karin Großmann, auch wenn das Lachen darüber oft vergiftet ist. Peter Wawerzineks Form des autofiktionalen Schreibens würdigt Florian Höllerer in seiner Laudatio zur Ehrengabe der Schillerstiftung als »eigendynamisches Ineinander von Leben und Schornsteinbau«. Die Grenzbereiche des Sagbaren treten auch in der Rubrik »Lagebesprechung« in den Fokus. »Ich will die Abtrünnigkeiten der Sprache ausloten«, schreibt die junge österreichische Dichterin Hannah K Bründl in ihrer poetologischen Notiz.

Thomas Böhme hält in einem Gedichtzyklus Rückschau auf seine Lektüre Gottfried Benns, während Tom Schulz als reisender Dichter in Ungarn unterwegs ist: »Die Hunde von Jarosváros sind heimliche / Afghanen, qualmen im Müll. Laufen aus / dem Frisörladen mit eleganten Damen. / Natürliche Schönheit kommt von innen.« Julia Veihelmanns Erzählung »Miklós« rekonstruiert eine jugendliche »Liebesgeschichte« in der deutschen Provinz vor dem Hintergrund einer Cocktailparty im chinesischen Guangzhou.

Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre einen meeroffenen Horizont!

Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe erreichte uns die Nachricht, dass Franz Hodjak am 6. Juli 2025 verstorben ist. Er war der Zeitschrift seit 2002 wie wenige andere Autoren verbunden. Wir trauern um einen großen Dichter und unersetzlichen Menschen.

Die Redaktion