Räume der Vorsehung der langsamen Bogenschützin
Mila Haugová

(Aus dem Slowakischen von Slávka Rude-Porubská)

(Haus)
meine beweglichen Häuser aufpoliert und
auf Hochglanz gebracht zur Frühjahrsauferstehung

wo der Schlüssel mehr ab- als aufschließt
wo ich so herrlich allein bin vielleicht rede ich es mir
nur ein und betrachte das Provisorium
als Endzustand Haus als Berührung

die Vergangenheit befreit vom ständigen
Ein- und Ausatmen

etwas was mehr ist als die Wirklichkeit
die der Wirklichkeit fehlt wo habe ich euch bloß
verloren verblichene Bilder auf denen sich
das Haus vegrößerte und ausdehnte?

hier transzendiert die Geometrie (jeder
Blütenkelch wird zum Haus) der liegende
Pflanzenquader mit einem Geheimnis


(Garten)
der Horizont mit Regen bewegt sich nachts im Fenster
und gleitet in mich hinein ich bin im Haus das altert

im Schnee: seine Wände vertikaler Garten
ich höre den Vogelsprech ich höre wie der Walnussbaum
klebrige Knospen austreibt und wie unter der Rinde
die kleinen Larven leiden zusammengedrückt in der Rindenmuschel

im Haus ihres Daseins im Zustand der Urschöpfung
der Ruhe atmet im Gras die verdichtete Zeit

und du fragst woher das Licht kommt
vielleicht aus der Umarmung der reglosen Kindheit
aus den Orten der inneren Urstimme aus
den langen Aufenthalten in der Augustsonne

aus den langen Schatten von Johannisbeersträuchern
über denen ein Vogel sein luftiges Nest baut

ich schreibe und lese meinen Garten Rosenhieroglyphen
entlang der Zäune und der Steine des imaginären Flusses

ging die Kindheit ins Träumen über


(Keller)
das Haus eine riesige Pflanze aus Stein würde nur schlecht wachsen
wenn es unter sich keine schlafenden Gewässer des Kellers hätte
wo hielten sich die wiederkehrenden Träume versteckt wenn nicht
auf der steilen Kellertreppe an der sich im Winter
die erstarrten Frösche festhalten in erstaunter Mimikry
stellt euch nur vor das Haus hätte keine Wurzeln


(Schränke)
das Licht im Frost des Augenblicks es öffnet
sich Mutters Wäscheschrank
oh Licht im schlafenden Haus Spitzen
Damaststoffe aufgerichtete Reihen voller weißer
Wintersonnen Handtücher Kissen und
Bettlaken sich nach unten hin fortsetzend
zu Nachthemden der mit einem Bund
zusammengehaltene Lavendel duftet unsichtbar
darunter versteckte Briefe und Fotos
des jüdischen Verlobten Briefe ihrer Mutter
und meine Haarlocken und Kinderhemden
Parfümflakons vom Vater bereits leer die Zeichnungen
der Enkeltocher auf denen sie steht wie sie die im Garten
in der Sonne getrocknete Wäsche in den Schrank faltet
Tischdecken Bettlaken Erinnerungen Tränen
der geliebten Welt
(armoir)


(Schubladen)
die Schubladen sind Organe des geheimen psychischen Lebens

die Schubladen sind Organe des geheimen psychischen Lebens
eine nach der anderen eine nach der anderen
ich möchte die Hand sein die sie öffnet:
schlaf Du mit mir …


(Hinterhof)
der verlängerte Körper des Hauses wächst bis an
die Nachbarsmauer abgebröckelter Putz
mit Efeu bewachsen der Maulbeerbaum im Schatten
des Walnussbaums (er hält sich fern) Brombeeren
dornenlos (Beweis der Genmutation)
der Ziegelstall mit vier Kaninchen
das fünfte rissen meine Hunde in Fetzen als es in der Nacht
aus dem Stall floh meine Tochter erstummte vor Schreck
als sie den zerfetzten Tierkörper sah
in deren Schnauzen: unter dem Brett an der Mauer
ist ein Ameisenhaufen wenn ihr es ein wenig anhebt
seht ihr den Ameisenhaufen ganz wie den künstlich
errichteten im Naturwissenschaftlichen Museum : meine Ameisen
beißen und ärgern sich wenn ich ab und zu das Brett anhebe
sonst sind dort noch auf einem kleinen Stück guter Erde allerlei Setzlinge
Paradeiser Paprika und drei winzige Gürkchen mit ihren Schlingen
und eine Schaukel und eine Regentonne
und Klafterholz zwei Meter hoch geschichtet
darunter wohnt (wahrscheinlich) ein Wiesel in unserem Hinterhof
herrscht relative Ordnung


(Zimmer)
es hat zwei Türen ich betrete es durch die Tür vom Flur aus
direkt gegenüber habe ich einen Spiegel das schönste in diesem
Zimmer ist der Blick hinaus in den Garten auf die Rose die
von außen leicht das Glas berührt auf die Birke und die Tanne und den Feldahorn
und den Blauen Portugieser und die Hortensie und die Tigerlilie
ein Gedicht schreiben heißt benennen
sich selbst das Zimmer den Garten die Beziehungen das Echo liebevoller
Laute: »Schau ich mache ein Bild von dem Aprikosenbaum
wie er gerade blüht!«

ich pflegte dieses Jahr den Garten anzuschauen
verankert im ununterbrochenen Regen das Unkraut wuchs
kniehoch als würde es auch den feinen Holzboden durchwachsen
den Schreibtisch und die Sessel umschlingen
sich in die Muster des Berberteppichs hineinweben und
die Bilder ausfüllen sie in eine rein geometrische
Abstraktion verwandeln und darunter unsere Gesichter
verbleichen und verschwinden lassen … ich bin im Zimmer so herrlich allein …
die Seele mit der klaren Zielscheibe des Auges


(Kammer)
schau dir mit kaltem Auge das Leben an
du dein eigenes Kind

ich bin die Jägerin der Stimme
der Garten ergibt sich wie auch ich im Herbst
der vergeudeten Zeit
wahrlich langsame Bogenschützin;
mythisches Hineingleiten
in ihr Schweigen

Pflanzenfrau ; die Blume wie ein stilles Tier
frisst sie auf

in beweglichen Häusern dieselben Fenster Türen
Haus der Worte

Obst im Regal gelagert vier leuchtend gelbe Quitten