Editorial 91

OSTRAGEHEGE hat sich von der ersten Ausgabe im Oktober 1994 an als Kulturvermittler zwischen der tschechischen und der deutschen Literatur verstanden. Damals hat Reiner Kunze exklusiv für OSTRAGEHEGE Gedichte von Jan Skácel übersetzt, der auch in der vorliegenden Ausgabe mit Texten präsent ist (übersetzt von Urs Heftrich). OSTRAGEHEGE hat kontinuierlich wichtige Übertragungen aus dem Tschechischen reflektiert. Ein besonderes Verdienst kommt dabei Reiner Neubert zu – der unsere Leser in nahezu jeder Ausgabe auf die Bücher unserer Nachbarn neugierig gemacht hat.

OSTRAGEHEGE hat mehrfach umfangreiche Schwerpunkte mit neuen Texten aus Tschechien publiziert. Die vorliegende Ausgabe ist aus Anlass des 100-jährigen Bestehens der Tschechoslowakei – und damit der heutigen Tschechischen Republik – ganz der tschechischen Literatur gewidmet. Interviews und Essays beleuchten die aktuelle Literaturszene im Nachbarland. Die Herausgeber danken an dieser Stelle dem Tschechischen Kulturministerium und dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds für die Unterstützung dieser Ausgabe.

Trotz des Engagements vieler Akteure spricht der Leiter des Tschechischen Literaturzentrums, Ondřej Buddeus, im Gespräch mit Daniela Pusch für diese Ausgabe eher von einer „(Nicht-)Präsenz tschechischer Literatur in Deutschland“. Auf der einen Seite gebe es eine recht große Gruppe hervorragender Übersetzer für alle Genres, auf der anderen Seite eine breite und äußerst differenzierte Verlagslandschaft, die allerdings bis auf wenige Ausnahmen den Kontakt zur tschechischen Literatur verloren habe. Die Leipziger Buchmesse steuert diesem Trend in diesem Jahr deutlich entgegen, indem sie Tschechien zum Gastland bestimmt hat. Buddeus sieht eine wichtige Aufgabe des Tschechischen Literaturzentrums in einer starken Internetpräsenz und -kommunikation. Ein neuer Akzent setzt in diesem Kontext die Vergabe von tschechischen Residenz-Stipendien für deutsche Autoren oder Übersetzer.

OSTRAGEHEGE bedankt sich ausdrücklich bei Daniela Pusch und Martina Lisa, die, wie bereits bei OSTRAGEHEGE Nr. 89, als gute Geister und Koordinatorinnen unseren Lesern einen aktuellen Einblick in die tschechische Literatur ermöglichen.

Für diese Ausgabe ist auch ein tschechischer Künstler eingeladen worden. Lubomír Typlt gilt als wichtiger Repräsentant der jungen Generation zeitgenössischer figurativer Maler in Tschechien. Er ist in seiner künstlerischen Entwicklung stark beeinflusst durch die Auseinandersetzung mit der Malerei des Deutschen Expressionismus. Typlt hat in Tschechien und Deutschland Malerei studiert, war ab 2004 Meisterschüler von A.R. Penck und stellte 2011 gemeinsam mit seinen Lehrern Markus Lüpertz und A.R. Penck in der Prager Galerie Zdeněk Sklenář aus. „Vereinfachung und eine bestimmte Monumentalität sind wichtig für mich“, merkt Lubomír Typlt in einem Interview an, und „ein neues Gemälde wird aus dem vorher entstandenen Bild geboren“.