(Aus dem Tschechischen von Martina Lisa)
(Ein Protokoll)
Samstagabend, Januar. Gegen Mitternacht zu Hause, das war gut. S. schläft schon. Auch gut.
Haferflocken für den morgendlichen Brei einweichen. Tee von Matěj, Sleepy Me steht darauf, Fenchel und so weiter. Ich drücke die Tasse gegen den Hals, Wärme spüren, vorm Schlafengehen das letzte Mal Facebook checken. Warum eigentlich? Ein Durchlauferhitzer der Informationen.
Schimpftiraden gegen den Altkommunisten Ransdorf, und das nur, weil er gestorben ist. Der Arme. Ist er nun im Himmel oder in der Hölle? Wir wissen es nicht, er jetzt vermutlich schon. Und selbst, dass er gestorben ist, reicht den Menschen offenbar nicht. Drei Seiten einer amerikanischen Erzählung lesen (Saunders), nach dem Pullover am Boden greifen. Das hier ist also mein Leben.
Winter. An die Menschen denken, bei denen die Heizung nicht funktioniert, die gar keine haben. Gott dankbar sein dafür, dass hier, in diesem Loch, auf meiner Parzelle in dieser parzellierten Welt, eine läuft, knurrt, surrt und ich nicht frier.
Am frühen Morgen stürmen Kinder zu S. ins Zimmer, zum Zweck der Förderung ihrer Musikalität. Ein Kinderlied vom Mückenmann, der eine Hochzeit hielt – und kein Tropfen Wein dabei, summ, summ. Einen Tropfen könnte ich jetzt auch vertragen.
An die Mails denken, die ich nicht beantwortet habe. Ach, ist doch Wochenende, niemand kümmert sich um Mails. Zumindest ich nicht, nicht dieses Jahr.
Mit dem Haferbrei vorm Teevau, eine Moderatorin mit dem IQ eines Toastbrots und dem Ausschnitt der Verkäuferin aus dem Spätkauf fragt eine etwa hundertjährige Sprecherin, wie sich das damals so moderiert habe. Geschichten, die einem nur so durch den Kopf schwirren, weil einer sie erzählt, ansonsten nichts. Ansonsten nichts.
Ich mache mir die Suppe warm, die vom Donnerstag. Rote Linsen, Pilze, saure Sahne, schneide Petersilie hinein, für mich der Gipfel eines Luxuslebens. Naja, Petersilie im Januar, eigentlich bin ich dagegen. Doch heute ist eh alles anders, Himbeeren im Dezember, der kältebeständige Grünkohl. Was soll man noch dazu sagen? Es ist jetzt halt eben so, hmm.
Ich esse die Suppe und überlege, ob ich ins Kino gehen soll. Ich fand es eigentlich immer traurig, allein ins Kino zu gehen. Aber manchmal mache ich es trotzdem, die Filme sind es wert. Andererseits weiß ich, dass sich nicht jede Stimmungslage für so einen einsamen Kinobesuch eignet. Man kommt sich da vor wie eine Figur aus einer amerikanischen Erzählung aus den Achtziger Jahren, als man noch nicht streamte, sondern mit Kafka oder Pound in der Hand auf dem Sofa lag. Ich überlege, ob ich es schaffe oder nicht. Die Küche ist kalt, weil ich hier nicht heize. Wird hier geheizt? Nein.
Ich setze das Wasser auf, schütte Tee ins Teesieb, das ich von S. zu Weihnachten bekommen habe. Den Tee verzehre ich wie mein Leben, mein momentanes Leben, geformt von den samstäglichen Schneewehen und dem zur Neige gehenden Jahr des Feuerhahns. Ist es denn überhaupt möglich, dass alle Menschen, die während eines Jahres geboren wurden, irgendetwas Gemeinsames haben?
Ich koche schwarzen Tee, presse eine Zitrone aus mit einem Küchengerät aus Plastik, ein wenig Honig dazu. Ich serviere mir den Tee so, wie es auf Keksverpackungen dargestellt wird. Die Dekadenz der Werbung. Aber mein Samstag ist nicht gerade werbetauglich. Höchstens für eine Antiwerbung. Die wurde allerdings von den Marketingfuzzis noch nicht erfunden.
Ich sitze in der Küche und lese ein Buch. Ist es eigentlich ein Statement, dass ich mich jetzt nicht in mein Zimmer verkrochen habe? Vermutlich, denn in der Küche wird nicht geheizt, es ist kalt hier. Ich suche Nestwärme in der kalten Küche. S. kommt aus ihrer Hütte gekrochen, aus der schon seit über einer Stunde trotz geschlossener Tür die Klänge Amazoniens herüberströmen, und macht sich daran, eine Brühe aus heilender Amazonas-Erde zu kochen. Die öffnet einem angeblich wichtige spirituelle Kanäle und Durchblicke, die sonst verstopft sind vom diversen moralischen Dreck des Lebens und der Welt. Ich denke am besten gar nichts darüber.
S. durchbricht unser Schweigen. Schimpft, dass die Nachbarn gegen die Wand klopfen und sich über ihr ständiges Geklimpere beschweren und über das Hoch- und Runtersingen der C-Dur-Leiter. So kann man doch stimmtechnisch gar nicht richtig aus sich herauskommen. Auch darüber denke ich nichts. Verspüre vielleicht nur Mitleid mit den Nachbarn. Und mit mir selbst.
Wenn sie hier ist, bin ich plötzlich jemand anderes: Ich spiele jemanden, der barscher, unordentlicher, murrender und phlegmatischer ist. Ich kenne diese Person nicht und will sie auch gar nicht kennen, doch ich werde gezwungen, sie ab und an darzustellen. Menschen, mit denen wir unser Selbst verdecken und so tun, als wären wir jemand anderes – aber was soll man mit diesen Menschen tun? Nur weg.
Ich sehe mich an der Schulter eines Freundes weinen. Kursiv: es tut mir wirklich leid. Früher waren wir uns ganz nah und jetzt macht ES das aus mir. Weißt du, du willst weder DIES noch DAS sein, du willst einfach du sein und nicht darüber nachdenken, was du bist. Es ist doch ätzend, ständig zu grübeln. Du musst dir nur manchmal sagen: Genau, genau das ist es, alles in Ordnung. Und nicht ständig dieses: Verdammt, was sag ich denn da eigentlich, das bin doch gar nicht ich.
Dieses Ungleichgewicht zerrt so ziemlich an einem und man macht dann dumme Sachen. Zum Beispiel einen Sonntagsspaziergang mit einem, von dem man schon lange nichts mehr will. Es ist ein Statement. Und er lädt dann zum Abendbrot ein, Ente mit Knödel von Mutti, bei ihm, in seiner ärmlich-traurig eingerichteten Küche. Und du setzt dem Ganzen die Krone auf, indem du ihn anschreist, er solle doch bitteschön endlich anfangen, selber zu kochen und mit seiner Mutti solle er wohin gehen. Ach, diese unsichtbaren Nabelschnüre!
Ich trinke meinen dekadenten Tee und S. ihre Amazona-Brühe. Unsere wichtigen Durchblicke werden zwar geöffnet, doch wir beide entfernen uns immer mehr voneinander. Vorm Fenster sehe ich einen Eiszapfen erklirren: Immer und immer wieder aufeinander zugehen statt Gruben zu graben. Ich reiße mir die Maske der Anderen herunter und trotz der ganzen Unsensibilität und Unlust frage ich S.: Geht’s dir eigentlich gut? Jaja, bin nur sehr müde. Ist ja auch Winter. Aus dem Menschen wird ein Tier, das nur schlafen und essen will, immer wieder. Sie summt etwas, wohl was von Haydn.
Ach, wäre ich doch eine Fledermaus, ein Igel, ein Hamster, ein Bilch oder ein Ziesel, das wäre was. Doch ich bin ein Mensch: Lebenslust, abstraktes Denken und so.
Immer wieder sich selbst entgegenkommen.
Immer wieder in dem Anderen den Besseren sehen.