»Im Duell der Linkshänder: Trau deinen Augen«
Vermutungen, Tatsachen und Überlegungen zu Peter Graf, Maler (Auszug) – von Gregor Kunz

Grün wächst an Dunklem, geht über Grau, über’n Himmel mit Gelb; Bäume und Wiesen, das ist hinten, ein Kleid, das ist vorn: Man kennt sich. Rechts und links fassen Ocker und Brauns, fällt etwas Gelb, geht angeschnittenes Land hoch in zwei Ufern, der Küste. Dazwischen fließt Blau übers Braune von links durch die Mitte, ein Fluss, der geht, ein Meer, das kommt, der gebannte, der lange Moment.

Vorn liegt die Insel unbekannter Größe, hoch überm Wasser, wie’s aussieht, steigt noch, wächst oder schrumpft. Das Polster ist gelb-grün, eng und besetzt, einer sitzt, zwei stehen, gestaffelt von rechts und geneigt nach links: Einhornmann, Einhornkind und die Frau, eine große und schöne, die viele Künste weiß … (so sagte es Homer). Mattgrün und statuarisch in sanfter Bewegung berührt die Frau das orangene Kind und etwas in den Lüften, über der Spitze des kindlichen Horns. Klein steckt am Kleid ein Stein, ein Blau ohne Makel, wie nirgend sonst. Vorm Kind steht ein Rahmen, der spiegelt. Das Kind hält den Spiegel dem Vater, der braungrau Bepelzte fasst gleichfalls das Glas, schaut hinein und heraus, melancholisch und ernst.

Helles spiegelt der Spiegel, Weiß und Türkis, Schwarz und etwas Dunkelgras, fremd eine Kante, des Vaters anderes Ich und schwarzgewandet den Tod. Der Tod hat einen Hut auf und hält eine Uhr, die Zeiger verheißen nichts Gutes. Für wen? Wir wissen es nicht, aber ahnen. Der Spiegel spiegelt und trennt. Der Spiegel ist ein Fenster und spricht: Wahres, was sonst. Der Tod hat einen Schatten, der sagt: Da, wo ich stehe, steht eine Wand. Wo ist das? Nicht im Bild, doch vielleicht neben dir, neben mir …

Peter Graf, Das Duell der Linkshänder (Für Claire Simoneau und Georges Simenon), 1989 Öl auf Hartfaser 120x166
Peter Graf, Das Duell der Linkshänder (Für Claire Simoneau und Georges Simenon), 1989 Öl auf Hartfaser 120×166

Das Kind hat ein großes oranges Auge, es schaut über den Spiegel hinweg. Was sieht es, wenn es den Vater sieht, was sieht es hinter des Vaters Horn? Wir wissen es nicht, aber ahnen.

Von den Seiten ragen Hände ins Bild, die halten Pistolen. Nicht gegeneinander, obwohl es so aussieht. Sie zielen aufs Kind oder ins Blaue. Vater und Mutter bemerken sie nicht. Von rechts kommt Wind, die Bäume bewegen sich. Von unten kriecht einer herauf, der hat einen Hut auf, gelbe Hände mit Uhr, und hält einen Zettel. Was darauf steht, wissen wir nicht, aber ahnen: Namen, ein Vers, eine Bitte um Nachsicht …

Hinten, wo rechts und links ins Meer ragt das Land, sitzt unter Bäumen das Einhorn noch einmal, steht an der Staffelei der Maler und malt von der anderen Seite noch einmal, was gerade geschieht, weist auf den Fluss eine unbewaffnete Rechte mit ihrem Gelbgrün aufs Meer, nicht zu betreten, hockt unterm Hut in der Ferne, unterm unnützen Sonnensegel einer am anderen Ufer und schweigt.

Was schweigt er? Es gibt Männer mit zwei linken Armen, und Männer, die haben nur einen. Nobody is perfect. Einhörner gibt’s vielleicht gar nicht, ich seh ja auch keine … Das Bild heißt: Das Duell der Linkshänder und wurde 1989 gemalt. Sachsen ist das nicht, oder?

Peter Graf kommt aus Sachsen und ist in Sachsen geblieben. Von ihm ließe sich vermutlich lernen, was wirklich gut ist an dieser Weltgegend, vermutlich auch, was hier seit je schief läuft. Geboren in Crimmitschau 1937, hat er die längste Zeit seines Lebens in Dresden verbracht, gut 44 Jahre, und lebt seither in Radebeul, zeichnend und malend. Irgendwann zwischen Kindheit und Jugend, noch vor 1952 und Dresden, hatte er eine Begegnung mit Bildern, die ihn auf den Weg stellte, der ihn zum Maler machte, nicht zu irgendeinem, zu diesem: Peter Graf. Kunst setzt Künstler in Gang; es muss nicht viel sein, was diese Tür ins Andere öffnet, es reichen (nach meiner Erfahrung) schlecht gedruckte kleine Abbildungen, womöglich schwarz-weiß, aber im rechten Moment vor Augen. Was dann die Schwelle passiert, bleibt aktiv, unabhängig vom Auslöser selbst. Überliefert sind ein Zeichenzirkel in Zwickau, Klees »Zwitschermaschine« und der Name Picasso. So vorgeprägt, stößt Graf in Dresden zu einem Freundeskreis in Gründung, zu einer Gruppe junger und sehr junger Leute, die sich bei Kursen an der Volkshochschule begegnen und um Jürgen Böttcher (später Strawalde) versammeln: Peter Herrmann, Peter Makolies, Winfried Dierske, Ralf Winkler (später A.R. Penck) und noch andere. Böttcher-Strawalde, der sechs Jahre Ältere, hatte 1953 sein Kunststudium abgeschlossen und gibt Kurse in Malerei und Zeichnung, die Jüngeren sind in der Berufsausbildung oder am Ende der Schule, offen für vieles und brennend interessiert an Kunst als Praxis und deren Geschichte, an Literatur und Jazz, den Zeit-Alphabeten. Man könnte das eine Initiationsgruppe nennen, schaut man auf die Folgen. Einen Namen gab dem Freundeskreis später A. R. Penck: Erste Phalanx Nedserd, 1991 während der Gruppenausstellung gleichen Namens in Nürnberg und Altenburg.

Die Freundschaften reichen weit, teils fürs Leben, was akkumuliert wurde in Gesprächen, Kunstarbeit, Austausch, trägt ebenso lange. Peter Herrmann erinnert sich 2017 in einem Interview: Unsere Gespräche, die dann immer beim Böttcher oder beim Ralf im Atelier stattfanden, gingen ja bis tief in die Nacht rein, und Böttcher war der erste, der mir auch zeigte, was ein Piero della Francesca ist oder ein Giotto. Der zeigte aber auch gleichzeitig Picasso und zeigte auch alte Dresdner Maler wie Lachnit, Tröger, Kretzschmar, die er auch bewundert hat und auch toll fand. Ich jedenfalls hab dem sehr willig zugehört und mir dann auch Literatur besorgt usw., bin in die Kunstbibliothek gerannt. Aber der Anreger war Böttcher. Für mich jedenfalls. Je länger wir als Freunde zusammen waren, um so mehr haben wir uns dann gegenseitig angeregt. (…) Das war eine intensive Zeit, wie man sie dann später nie mehr erleben konnte.

Strawalde ging 1955 nach Berlin, Penck wurde 1980 aus der DDR ausgebürgert, Peter Herrmann ging 1984 in den Westen. Peter Graf, Peter Makolies und Winfried Dierske blieben. […]

[Auszug]