Lubomír Typlt
– Klaus Siepmann

Der am 6. Juni 1975 in Nová Paka, Tschechien, geborene Lubomír Typlt blickt schon jetzt auf ein umfangreiches und vielfältiges künstlerisches Werk zurück. Bis heute besteht sein Œuvre aus Malerei, Arbeiten in Tempera auf Papier, dadaistisch anmutenden Objekten mit Fahrradfragmenten, Ölfässern, Regenschirmen, Gießkannen und Videoanimationen wie z. B. »Die Unendlichkeit beschleunigen« aus dem Jahr 2012. Außerdem ist Typlt auch Autor von Texten, die er für die tschechische Hip-Hop-Band WWW Neurobeat schreibt, von der seit 2006 bereits vier Alben, mehrere Musikvideos und ein Textbuch veröffentlicht worden sind.

An Typlts Werdegang fällt auf, dass er sich schon frühzeitig mit gestalterischen Fragen auseinandergesetzt hat und bereits 1995 seine erste Einzelausstellung im Jugendclub Chmelnice in Prag präsentieren konnte. Seine künstlerische Ausbildung beginnt er 1989 an Václav Hollars Schule der Bildenden Kunst in Prag, studiert anschließend von 1993 bis 1997 an der Akademie für Kunst, Architektur und Design bei Prof. Jiří Šalamoun im Fach Illustration. Zwischen 1997 und 2001 folgt das Studium der Malerei an der Fakultät der Bildenden Künste in Brno bei Prof. Jiří Načeradský.

Ostragehege Lubomir Typlt Revolutionärinnen
REVOLUTIONÄRINNEN, 2017, Öl auf Leinwand, 180 × 240 cm

Während dieser Zeit befasst sich Typlt zunehmend mit moderner deutscher Malerei und schreibt einen Essay über den Maler Lovis Corinth für das Magazin Host. 1998 beginnt er als Gaststudent das Studium der Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Markus Lüpertz, setzt das Studium dort im Jahr 2000 bei Prof. Gerhard Merz fort, präsentiert Einzelausstellungen in Prag und wechselt 2002 in die Klasse von Prof. A.R. Penck, der Typlt 2004 zum Meisterschüler ernennt.

2005 erhält er den Akademiebrief und ist seitdem als freischaffender Künstler in Berlin (2006–2009) und Prag tätig. Neben zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen stellt Typlt im Jahr 2011, dem Geburtsjahr seines Sohnes František, gemeinsam mit seinen ehemaligen Professoren Markus Lüpertz und A.R. Penck in der Galerie Zdeněk Sklenář aus. Mit seinen Arbeiten ist Typlt in vielen privaten Sammlungen in Tschechien, der Slowakei, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden vertreten sowie in öffentlichen Sammlungen und Museen wie z. B. der Kunsthalle Prag.

Lubomír Typlt gilt als wichtiger Repräsentant der jungen Generation zeitgenössischer figurativer Maler. Er ist in seiner künstlerischen Entwicklung stark beeinflusst durch die Auseinandersetzung mit der Malerei des Deutschen Expressionismus – ein Gemälde von 2018 trägt beispielsweise den Titel »Pechstein«. Zudem ist Typlt geprägt von den Bildern der »wilden« Malerei der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, der auch die Arbeiten seiner ehemaligen Lehrer Markus Lüpertz (geb. 1941 in Reichenberg / Liberec in Tschechien) und A. R. Penck (geb. als Ralf Winkler 1939 in Dresden, gest. 2017 in Zürich) zugeordnet werden. Ebenso wie Lüpertz und Penck hat auch Typlt in seiner Malerei eine besondere Neigung zu Variationen, Bilderserien, Provokationen und nicht zuletzt zum großen Format. Als Beispiele hierfür mögen u.a. einige Bilder aus verschiedenen Schaffensphasen dienen:

»Kaninchen in Alkohol«, Öl auf Leinwand, 140 x 105 cm aus dem Jahr 1996 schockiert und provoziert auf ähnliche Weise wie die erhängten Katzen oder toten Vögel, die zumeist großformatig in der Manier der Spätimpressionisten gemalt sind. »La Pisseuse I–IV« (»Die Pisserinnen«) in Öl auf Leinwand aus dem Jahr 2002, variiert mehrfach das gleiche Motiv und bezieht sich auf den Titel einer Werkgruppe von Pablo Picasso aus dem Jahr 1965. Das Ölgemälde »Pinocchio mit einer Gießkanne« von 2005 ist Bestandteil einer Serie von Pinocchio-Bildern, die farblich expressiv variiert sind und eine absurd-surreale Wirkung hervorbringen. Die malerischen Variationen sind auch besonders gut in dem sechsteiligen Bild »Schrei« aus dem Jahr 2012 festzustellen. Das gesamte Bild mit dem Format 290 x 600 cm besteht aus sechs einzelnen Leinwänden, auf denen jeweils zwei schreiende Babyköpfe dargestellt sind. Hier vervielfältigt sich der einzelne variierte Kinderkopf und mutiert in der Gesamtkomposition mit zwölf Köpfen zu einer ganzen Säuglingsstation, was den »Schrei« noch verstärkt.

Ostragehege Lubomir Typlt Konterrevolutionärinnen
KONTERREVOLUTIONÄRINNEN, 2017, Öl auf Leinwand, 200 × 260 cm

Bildvariationen und Serien sind bei Lubomír Typlt auch immer wieder verbunden mit Experimenten. Farbliche, kompositorische und inhaltliche Experimente zeigen sich auch in seinen jüngeren Bildern aus den Jahren 2017 und 2018. Die Grundthemen dieser Gemälde reflektieren die männliche Welt und die weibliche Welt. »Konterrevolutionärinnen« ist der Titel eines Gemäldes in Öl auf Leinwand aus dem Jahr 2017 mit dem Format 200 x 260 cm. Der Bildtitel und die Bildidee ist wie in vielen Fällen durch die Texte beeinflusst, die Typlt für die Band WWW Neurobeat schreibt. Dargestellt sind hier drei weibliche Figuren von unbestimmtem Alter. Vor einem bewegt gemalten blauroten Hintergrund, der starken Wind oder einen Sturm andeutet, sind drei Mädchen als Halbfiguren dargestellt. Auffällig sind die langen roten Haare, die schräg nach links oben wehen, die von den Fäusten verdeckten Augen und die geöffneten Münder. In ähnlicher Körperhaltung erscheinen drei Mädchen in dem Bild »Freitags«, wobei hier mehr von den wehenden Kleidern zu sehen ist und damit die Dynamik noch erhöht wird. Außerdem halten sich die Mädchen die Hände mit den Innenflächen nach außen vor die Augen, als wollten sie sich vor einem Feuersturm schützen. In genau gegenläufiger Bewegung erscheinen in »Revolutionärinnen« drei Mädchen mit wehenden Haaren und den gleichen Kleidern in ähnlicher Körperhaltung. Die Variationen werden abgewandelt in dem Gemälde »Gegenwind«, in dem drei Mädchen auf der linken Seite nach links gewandt sind, während zwei Mädchen auf der rechten Bildhälfte nach rechts wiedergegeben sind, was natürlich alle physikalischen Gesetze ignoriert. Wie bei »Gegenwind« ist auch in dem Gemälde mit dem Titel »Kuss« die Komposition der Bildhöhe in zwei etwa gleich große Hälften unterteilt. In der unteren Bildhälfte befinden sich vier Mädchen nach rechts gewandt und eines nach links, so dass sich hier zwei Köpfe einander zuwenden. Farblich sind alle fünf Figuren in einer gleichmäßigen Abfolge von grün und violett angelegt. Die violetten Kleider und das violette Haar bilden einen deutlichen Komplementärkontrast zum Gelb des Hintergrundes. Mit starken Komplementärfarben arbeitet Typlt auch in dem Bild »Rotes Inferno«, in dem die Dynamik der Körperhaltung in Beziehung zu den infernalischen, glühend roten Objekten steht und die bewegte Wirkung erhöht. Auch in dem Bild »Mittwochs« hat Typlt bewusst einen Komplementärfarbkontrast gewählt, wobei hier das Grün der Kleider vor dem magentaroten Hintergrund locker, durchbrochen und skizzenhaft angelegt ist. Im Gegensatz zu der heftigen Bewegung in »Rotes Inferno« steht das Bild mit dem Titel »Unter dem Himmel Himmel«, 2018, Öl auf Leinwand, 200 x 260 cm. In diesem großformatigen Gemälde scheinen drei Mädchen mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und auf der Seite zu liegen. Die dunklen Haare der Mädchen gehen malerisch in den dunklen Pinselstrich über, der den Grund bildet, auf dem die Mädchen liegen. Die Haare verschmelzen mit dem netzartigen Grund des Bildes, das durch eine Zweidimensionalität und eine Reduktion der Farbigkeit geprägt ist.

Ostragehege Lubomir Typlt Kommissare
KOMMISSARE, 2018, Öl auf Leinwand, 145 × 200 cm

Im Unterschied zur weiblichen Welt stellt Typlt die männliche Welt in einer Reihe von Ölgemälden aus dem Jahr 2018 anders dar. Während die weiblichen Figuren teilweise in einer Art von Wirbelwind mit wehenden Haaren erscheinen, sind die Kompositionen mit den männlichen Figuren deutlich ruhiger und statischer. In »Fernando« erscheint ein Junge in der malerischen Tradition einer Büste oder eines sogenannten Schulterstücks im Halbprofil nach links nur in den Farben Blau und Türkis. Ein blauer Strich, der den Kopf vom Scheitel bis zum unteren Bildrand durchzieht, unterteilt den Kopf in zwei Hälften, so dass eine plastische Wirkung entsteht. In dem Gemälde »Miguel« ist das Halbprofil ebenfalls nach links gewandt. Anders ist hier jedoch, dass sich die beiden Gesichtshälften deutlicher farblich voneinander absetzen, dass ein Komplementärkontrast zwischen Kopf und Hintergrund besteht und auch noch ein Schlagschatten die räumliche Wirkung des Bildes erhöht. Auch im Bild »Kommissare« mit zwei Köpfen setzt Typlt den Farbkontrast und die Schlagschatten ein. Im Gemälde mit dem Titel »Viertelung«, in dem ebenfalls zwei Köpfe dargestellt sind, wird der senkrechte Strich, der die Köpfe jeweils unterteilt, durch einen waagerechten Strich ergänzt. Dadurch erreicht Typlt eine Aufteilung der Gesichter in jeweils vier Gesichtsteile, die sich malerisch sehr stark voneinander unterscheiden. In »Pazifisten« sind acht Köpfe in zwei Reihen dargestellt, die fast so wirken wie Soldaten bei einer Militärparade. Trotz der eher schematischen Darstellung der Köpfe nach links, sind die Gesichter individualisiert.

Das Bild »Pechstein« zeigt fünf Figuren, die nicht dem Schema und der bisherigen Aufreihung entsprechen. In diesem Bild experimentiert Typlt mit einem verborgenen Licht, dessen Quelle sich unten und außerhalb des Bildes befindet. Die Figuren scheinen sich im Halbkreis um diese Lichtquelle gruppiert zu haben und werden dabei in ein geheimnisvolles Licht getaucht.

Wie auch schon in dem Gemälde »Pazifisten« sind in dem Bild »Wir gründen einen eigenen Staat« die zehn dargestellten Figuren trotz der vereinheitlichten und schematischen Körperhaltung individualisiert. Die vom linken und rechten Bildrand angeschnittenen Figuren lassen zudem den Eindruck entstehen, als würde sich die Figurengruppe noch weiter fortsetzen mit einer Vielzahl Gleichgesinnter. »Vereinfachung und eine bestimmte Monumentalität« sind wichtig für mich, merkt Lubomír Typlt in einem Interview an und »ein neues Gemälde wird aus dem vorher entstandenen Bild geboren«.