Schreibers Ort
Der Dresdner Dichter Patrick Wilden
legt seinen zweiten Gedichtband vor

Axel Helbig

Es ist gute Tradition der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, sächsischen Stipendiaten einen Aufenthalt an interessanten Orten im Ausland zu ermöglichen. Patrick Wildens Gedichtband »Schreibers Ort« verhandelt solch einen Ausflug ins Unbekannte. 2016 durfte er einige Monate in Jagniątków (früher Agnetendorf) im dortigen Gerhart-Hauptmann-Haus verbringen. Der Titel des Bandes bekommt so einen doppelten Sinn. Die Villa Wiesenstein am Rande des Riesengebirges war von 1901 bis 1946 Hauptmanns Ort des Schreibens. Wilden wandelt in den ausgetretenen Spuren des großen Dichters, bewohnt dessen paradiesischen Zufluchtsort im Wald und lässt sich von der »schlesischen Nachtigall« inspirieren. Der Untertitel »Suite karkonosque« nimmt auf Karkonosze, den polnischen Namen für das Riesengebirge, Bezug.

Der Band enthält mehrere Zyklen, deren Titel als Synonyme für die Suche nach Sprache aufgefasst werden können – »Klemmton«, »Das Gedicht im Gebirge«, »Schreibers Ort«. Alles ist fremd bei den ersten Erkundungen des Terrains. Der Dichter/Schreiber versteht nicht, was die Radiostimmen, was die Schilder sagen. Im »Sprachgebäude« zu leben, heißt, »unter freiem Himmel zu schlafen // Es regnet durch / und ständig weht Wind«. Auch der Rückzug ins Wiesenstein hat nichts Rettendes. Was soll er schreiben »im Haus voll Geist und Glorie«? »Büsten schlafen in den Ecken // wenn du abends die Schuhe ausklopfst / rieseln Nadeln und kleine Steine auf die Dielen / wie fremde Wörter aus dem Lexikon«. »Es ist wie ein Anfang ohne Beginn / der Blick in die Weite verstellt«. Der Band liest sich mitunter wie ein Roman, in dem der Schreiber (Wilden) der Protagonist ist. »Ungezählte Gemarkungen« muss er ablaufen und »auf die aufprallenden Wörter« lauschen, bis sich die Nebel an »Schreibers Ort« lichten: »nach ein paar Tagen kennst du die Raubvogelrufe / das Krachen einer stürzenden Buche / den Geruch von geschlagenem Holz / auf halber Höhe // du hast dich mit Wörtern beladen, die du nicht kennst / und trägst sie die Wege entlang / du findest wieder zurück / zu der winzigen Stimme / in deiner Hand«.

Auch der Zyklus »Klemmton. Variationen in D« beschreibt im übertragenen Sinn diese Sprachsuche. Der Schreiber entdeckt beim nächtlichen Umherstreifen in den »unzähligen unbewohnten Räumen« der Villa Wiesenstein ein lange nicht gestimmtes Klavier. »Das D hat sich losgerissen … klemmt zwischen den Harmonien … ist aus der Musik ausgebrochen … Hebst Du die Finger von den Tasten, hallt noch immer das D«. »Schreib ein Gedicht über das D«, scheint der befreite Ton zu rufen. Der Dichter zögert, erinnert die vielen Ds, die er gehört hat, »ihre Bösartigkeit, ihre Trauer, ihren Schmerz«, aber auch den »ungezügelten Witz«, der mitschwingen kann. Am Ende aller Überlegungen steht der rettende Kompromiss: »Schreib ein Gedicht über das Gedicht«.

Erst einmal heimisch geworden, geht dem Dichter das Schreiben von der Hand, entwickelt er ein Ohr für den Klang der hiesigen Sprache, schärft den Blick auf die Menschen und die geschichtsträchtigen Orte. Die »winzige Stimme« wird kraftvoll und setzt zum Höhenflug an: »Ich wohne auf der Höhe der Vögel / sie schreien mich an / … / Ich wohne auf ihrer Höhe bin / ihr Dirigent dunkler Hüter / einer Wolke aus Klang«. Auch die Natur wird nun lesbar: »Wir sind eins / das Geräusch von Bäumen / mit Wasser vollgesogen nach der Nacht / der Nebel der die Welt dahinter / zu Ende sein lässt // Die Klänge und ich / mein Pfeifen im Wald / wir sind eins«.

»Schreibers Ort« findet zu einer schönen gediegenen Sprache und zu Bildern, die man sich gern zu eigen macht. Ein Buch, das Lust auf Gedichte macht. Besser kann es nicht kommen.

 

Patrick Wilden »Schreibers Ort«, Gedichte, parasitenpresse, Köln 2022. 98 Seiten, 12 Euro.