DIESES ZIMMER
Sieben Tage sind vergangen, seit du eingezogen bist, und sieben Abende, friedlich wie alle anderen auch und nichts Besonderes. Und dennoch hast du das Gefühl, dass du dir diese Wohnung nie ganz zu eigen machen wirst und dass dieses Zimmer für dich immer Endres Zimmer bleiben wird, exakt so wirst du an es denken und immer wirst du genau so von ihm sprechen: Es gibt hier eine Fußbodenheizung und in Endres Zimmer ist sie am wärmsten; vom Wohnzimmer aus kann man die ganze Stadt sehen und aus Endres Zimmer schaut man direkt auf einen hohen Nadelbaum; und am Abend, wenn ich in Endres Zimmer sitze, glaube ich manchmal, dass eine Katze auf das Dach springt. Es werden tausend Nächte vergehen, tausendmal tausend weitere werden vergehen, du wirst dich hier schlafen legen, du wirst hier nachdenklich von einem Winkel zum anderen tigern, du gewöhnst dich an die Schatten und Unebenheiten, deine Worte werden im Raum schweben und dein Atem sich in jede Ecke gedrückt haben, deine Handflächen, Stirn, Schultern werden überall Spuren hinterlassen haben, wo du dich mal angelehnt hast, du wirst manchmal fröhlich und manchmal düster hier herumgeistern, das warme pulsierende Herz dieses Zimmers – längst hat es sich an dich gewöhnt und du dich an es auch, und doch wirst du immer so über es reden: das ist Endres Zimmer.
Endre hat dich mit ihm bekannt gemacht, als würde er dich einem anderen Menschen vorstellen, als ob er hoffte, dass ihr euch verstehen würdet, und als ob ihm das wichtig wäre: Das Fenster lässt sich nur schwer schließen und wenn du die Jalousie herunterziehst, ist es besser, sie dabei festzuhalten. Die Tür, wie du vielleicht schon bemerkt hast, schließt unten nicht ganz ab, und durch diesen Spalt, hoch wie dein Daumen, kriecht am Morgen die Dämmerung herein. Manchmal gelangen auch Raupen ins Zimmer, aber ich habe wahrscheinlich nur dreimal welche gesehen in den fünf Jahren, die ich hier gewohnt habe, dann sind sie vielleicht nicht der Rede wert, und überhaupt würden sie wohl erst im Sommer auftauchen. Das konnte ich nicht abkratzen, Endre wies auf den Aufkleber an der Tür, das Bild einer Raumstation. Also übernehme ich jetzt das Kommando, sagtest du und Endre lächelte dich an. Dann habt ihr noch lange, zwei, vielleicht drei Stunden in der Küche gesessen, auch wenn ihr nicht musstet; ihr habt sein Fortgehen und dein Ankommen hinausgezögert, als ob ihr dem Zimmer und der Wohnung und auch allen Gegenständen etwas Zeit gönnen wolltet, damit sie sich daran gewöhnen können, dass es ab jetzt eben so sein wird. Du hast Tee in ganz kleinen Tassen gemacht, weil du keine anderen gefunden hast. Ihr habt geredet, gemächlich und ruhig, über Wissenschaft, über Vorgeschichte und über das Universum, ihr habt über Bücher gesprochen und darüber, ob es besser ist, die Dinge eins nach dem anderen zu machen, oder dass man beim Essen aus dem Fenster schauen kann und dabei an etwas ganz anderes denken. Ihr habt sehr langsam getrunken. Es wurde allmählich dunkel, Licht habt ihr nicht gemacht. Hinter dem Fenster ragten zwischen den Baumkronen mehrere Dächer hervor und dahinter das Slavín-Denkmal. Du fragtest Endre, ob man von hier aus das Haus sehen kann, in dem er wohnen wird. Kann man nicht, schüttelte er den Kopf, aber es ist da.
Das war am Dienstag. Die Tage verflogen mit dem Wind, viele Blätter sind schon heruntergefallen, aber die meisten halten sich noch. Die Dinge sind genauso wie Endre es versprochen hatte, morgens drückt die Sonne ihr Ohr an die Tür und steckt dann ihre gelbe Hand darunter durch – exakt so dämmert es – und eines Nachts schliefst du bei offenem Fenster, ein in Decken zusammengerollter Haufen zitternder Knochen, weil du es nicht zugekriegt hast. Du arbeitest viel, arbeitest fast ununterbrochen. Du hast geglaubt, dass du in anderen Zimmern arbeiten würdest, aber die meiste Zeit verbringst du in Endres Zimmer.
Endre ist weg, nur einige seiner Sachen stehen noch in ein paar Kisten verpackt im Flur. Er zog nicht sehr weit weg, zu Fuß nur ungefähr fünfzehn Minuten. Vom Küchentisch aus betrachtest du, solange dein Tee noch ziehen muss, diesen Ort, der sich hinter den Bäumen verbirgt.
Du hast keinen besonderen Grund, an Endre zu denken, ihr kennt auch gar nicht, du bist eingezogen, er ist ausgezogen.
Die Decke in Endres Zimmer ist mit Holz verkleidet und an einer Seite abgeschrägt, das Fenster ein Dachfenster. Endre hat es nicht sehr gemocht: Nach fünf Jahren würde ich gerne mal auf was anderes schauen, als immer nur auf den Himmel, sagte er, und du verstehst ihn, aber momentan passt es dir in gewisser Weise ganz gut, außer dem Himmel erscheint im Fenster auch noch der Stamm eines hohen Nadelbaums und die Äste eines niedrigeren. Wahrscheinlich kommst du dir wegen der Holzverkleidung und den Nadelbäumen vor dem Fenster irgendwie ein bisschen wie in einer Datsche vor. Gleichzeitig stellst du dir das Zimmer oft als Brunnen vor; egal von welcher Stelle aus du aus dem Fenster siehst, du musst den Kopf neigen. Beklemmungen bekommst du davon nicht.
Dann ruft dich Endre an, dass er den kleinen Teller mit der griechischen Schrift nicht finden kann, der zu der griechischen Tasse gehört. Hast du ihn zufällig gesehen? Hast du nicht. Trotz der verneinenden Antwort geht die Unterhaltung weiter. Du erwähnst den Stadtwald Horský Park, den nächstgelegenen grünen Ort, den du auf der Karte gesehen hast, und Endre sagt, dass es wirklich nicht weit ist, nah und bergauf und die Wege verschlungen. Ihr verabredet euch für Samstagmorgen, um neun.
Bis zur letzten Minute denkst du, dass er nicht kommen wird.
[Auszug]