Marcel Beyer eröffnet mit seinem Gedicht »Was meine Feinde singen« die neue Ausgabe von OSTRAGEHEGE – »Ich / bin das Lied, ich bin der Laut, / der Halt, kann sein, ich bin sogar die / Unannehmlichkeit, die meine / Feinde zischen, und ja, ich zappele, / zu ihrer Überraschung immer / lächelnd, irgendwo dazwischen und / weiß zugleich, wer Fliegen fangen / will, darf keine Eile zeigen.« Mit seinen neuen Gedichten bestätigt Beyer eindrücklich das Votum der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Georg-Büchner-Preis 2016), die seine Texte als »kühn und zart, erkenntnisreich und unbestechlich« pries, und sein Werk als eines, »das die Welt zugleich wundersam bekannt und irisierend neu erscheinen lässt.«
Marcel Beyers neuer Lyrikband lässt auf sich warten, weshalb er im Stadtmuseum Dresden auch wichtige Gedichte aus seinem letzten Gedichtband »Graphit« (Suhrkamp Verlag 2014) lesen wird. Der Band enthält zahlreiche Gedichte, die mit Dresden oder der näheren Umgebung verbunden sind. Etwa das Gedicht »Wacholder«, ein Thomas Kling gewidmetes achtteiliges Gedicht, welches unterschiedliche Szenerien öffnet. Unter dem Eindruck der intensiven Lektüre von Thomas Klings Zyklus’ »vogelherd. microbucolica« unternimmt Beyer in einer Parallelbewegung einen kulturhistorisch sensibilisierten Gang in die Landschaft der Oberlausitz. So wird das Interesse an den slawischen Sprachen und an den sorbischen Mythen reflektiert. Zugleich ist es ein Landschaftsgedicht, in dem Militärsprache und ornithologische Begriffe nebeneinander stehen. Im Gedicht »Lambadamaschine«, einem Flaneur-Gedicht ala Robert Walser, werden Mickten (Erotikbar KLAX) und Pieschen (Kino Faunpalast) aufgerufen. »Mir ging es um diesen merkwürdigen Gestus, den ich immer wieder in Texten von Robert Walser spüre«, sagt Beyer über dieses Gedicht, »ein Gestus aggressiver Niedlichkeit. Er installiert einen schreibenden, beobachtenden Ich-Erzähler, der sich mit großem rhetorischen Aufwand klein macht. Zugleich aber legt er eine gewisse Aggressivität an den Tag, wenn er sich Figuren zuwendet, denen er die Niedlichkeit abspricht, indem er ihre Größe als Blenderei markiert.«
Marcel Beyer hat in den letzten Jahren den größten deutschen (Büchner-Preis), den größten sächsischen (Lessing-Preis) und den größten Dresdner Preis (Kunstpreis) erhalten, mit dem Dichter geehrt werden können. Zum Glück gibt es noch den Nobelpreis, weshalb wir uns um die ungebrochen heitere Motivation dieses Dichters keine Sorgen machen müssen. Theresia Prammer wies in einer Laudatio auf Marcel Beyer darauf hin, »dass jeder Geistesblitz ein nicht abzusehendes Gefahrenpotential birgt?“ In diesem Sinne sind Sie herzlich eingeladen, den Gedichten von Marcel Beyer zu folgen, jedoch auf eigene Gefahr.