Beim Wiederlesen von Gottfried Benns »Epilog 1949«
Thomas Böhme

I

Sie haben das Finstere nicht erhellt
Sie machten es nur erträglicher.
Und die trunkenen Fluten
versiegen eben jenseits der Sechzig.
Immerhin fanden Sie dafür Worte
die bestimmt nicht auf weißen
Kacheln standen.

Die Stille, die Sie ersehnten
beim Klirren der Instrumente
in einer Nierenschale, nach den Klagen
nach Abstrich & Türenschlagen
war schwer errungen, war die Asche
zu kurzer Rauchpausen.

Auch drang wenig Licht in die Räume
Erdgeschoß, Bozener Straße, Berlin.
Unerreichbar die Ebenen östlich der Oder
mit sich selbst überlassenen Gräbern.
Gedanken vor grauem Hintergrund
und in schwarze Magie eingesponnen.

 

II

Die Himmel wechseln ihre Sterne
dieses Bild, so verschroben & kalt
genaugenommen bedeutet es nichts
als schlechte Auftragslage für Astrologen.

Sie schrieben das nicht unter Drogen.
Nein, Sie hatten sich unter Kontrolle
und wußten um Ihre Defekte
das Drehbuch, die Masken, die Rolle.

 

III

Die Reime haben sich bald erschöpft
selbst die Chöre verstummen.
Die Parzen verbergen ihr Pokergesicht.
Um die fleckige Lampe
hört man Fliegen summen.

Ja, wir hatten von allem genug
Bilder, Gesänge & Büsten.
Doch dem Andrang der Wüsten
weichen die Formen
Zug um Zug.

 

IV

Stille Tage am See:
Schilf & Wogen sind mir noch
bis ins hohe Alter vergönnt.
Und jener Knabe
der mir heute vorausschwamm
warf mir lachend den Ball zu.

Ich bepflanze die nahen Gräber
indessen der Garten am Haus verwildert.
Gern bin ich dort zwischen Steinen & Kreuzen
wo mir vermutlich kein Hügel winkt.

Ach, es sind immer brüchige Krüge
aus denen man trinkt!

 

V

Die Brücken, die Gräben, die Mauern
& Schmetterlinge, nur verringert an Zahl
fließen in schwere Träume
so global wie banal.

Auch geheimste Gedanken
sind nicht länger verborgen.
Nur die Fragen bleiben die gleichen:

Was trägt die Stunde, was bricht?
Und am Ende heißt es zu weichen
dem helleren Licht!