monsieur weiß verzichtet auf die erde
SAID

monsieur weiß setzt sich auf den bordstein und ruft.
– man muß neue hyänen züchten.
die zeit zürnt ihm nicht.
er atmet ein.
– für lügen, für wahrheiten.
monsieur weiß atmet aus.
– die zweckmäßigkeit, mit der ein tier zur vernichtung des anderen ausgestattet ist,
berechtigt den menschen zu manchen taten –
auch zu auschwitz?
er legt die hände um den mund und schreit hinaus.
– was haben die deutschen da verraten, die zivilisation oder die biologie?
hinter seinem rücken hört er ein wiehern.
da steht ein tier, allein, gelassen, unter der sonne.
monsieur weiß fragt sich, ob es auf etwas wartet.
auf die frage antwortet das tier.
– sprechen sie mir nach!
er will dem befehl nicht folgen.
das tier scharrt mit den füßen –
monsieur weiß weiß die geste nicht zu deuten.
– ich sehe, das tier zieht viele wörter hinter sich her. ich frage, ob sie nicht bald müde sind.
doch es behauptet, die wörter seien robust genug.
– in welcher sprache kann ich mit dir sprechen –
in deiner oder meiner?
das tier lächelt.
– wählen sie eine, die ihnen wohl bekommt.
auf die frage, wie es heißt, schweigt es für eine weile und sagt dann.
– nennen sie mich, wie sie wollen –
sie haben ja die sprache.
monsieur weiß stutzt, denn er meint, einen vorwurf gehört zu haben.
– die sprache vermag gegenstände verschwinden zu lassen, zuweilen auch lebewesen.
er schickt sich an, dagegen zu argumentieren, doch das tier kommt ihm zuvor.
– der mensch kann sich im schutzraum der semantik verstellen.
monsieur weiß wechselt die ebene.
er nennt das ziel seiner bemühungen, eine neue welt jenseits der realität zu erschaffen.
– ich will eine rivalität mit der wirklichkeit. ich will die geräusche dessen, was dann kommt.
das tier antwortet.
– nur der überfluß kann sich solchen unsinn ausdenken.
– aber ich werde verrückt, wenn ich mit mir selbst übereinstimme.
und er fragt sich, ob das tier in seiner einfalt ahnt, was ihm fehlt.
in den augen von monsieur weiß verändern sich die bilder, sie setzen sich in bewegung.
nun erklärt er weitschweifig, er habe sich zurückgezogen, um eine synthese zu suchen
zwischen barbarei und erzählung.
nach einer pause gesteht er, er habe sich für seine mission sogar von seinem glauben entbinden lassen.
beide schweigen, bis monsieuer weiß wieder beginnt –
diesmal mit einem märchen.
ein könig wurde krank. da kamen die ärzte und sagten: »majestät, wenn ihr gesund werden wollt,
braucht ihr eine feder vom menschenfresser. die ist schwer zu bekommen, denn der menschenfresser
frißt jeden, den er sieht.«
das tier hört zu, macht aber keine anstalt zu antworten.
wieder spricht er von einem fließenden übergang zwischen wahrheit und lüge.
– nur eine hierfür gezüchtete hyäne erkennt die trennlinie.
jetzt lacht das tier auf.
monsieur weiß fährt fort.
– unsichtbare städte horchen auf unsere schritte und lauern auf ihre gelegenheit.
das tier verdreht die augen.
– zwischendurch aber fordern sie eine hand, eine hand, die sie streichelt.
endlich äußert sich das tier.
– wenn sie etwas sehen wollen, gehen sie nicht zu nahe ran.
– ich träume von einem zauberwort.
doch monsieur weiß weiß das wort nicht zu nennen.
– ich kann an die wirklichkeit nur glauben, wenn ich sie geträumt habe.
das tier schließt die augen.
– bin ich fortgelaufen oder fortgetragen worden?
es öffnet die augen und antwortet.
– ich weiß es nicht.
– an manchen abenden höre ich hilferufe der vögel –
was will das bedeuten?
– wer sind sie eigentlich?
die frage frappiert monsieuer weiß und er antwortet.
– in meinem garten blühen magnolien.
das tier schüttelt den kopf.
er fährt emphatisch fort.
– hier sind meine augen, sie verleugnen meine schwächen. das ist mein mund, der alles verrät, bis auf
meine gelüste. dort meine ohren, sie hören alles, auch die stille vor der lüge. und hier meine hände,
sie versuchen mich mit den außenwahrheiten zu verbinden.
in die stille, die folgt, äußert monsieur weiß eine bitte.
– können wir ein gemeinsames foto machen?
das tier plustert sich auf, als wollte es auffliegen.
er stöhnt.
– ich weiß, jeder sollte seine wörter kennen und wissen, was mit ihnen möglich ist.
das tier murmelt.
– ja, wer’s verstünde zu verblühen.
er verfolgt den flug des tiers mit unruhe.
seither verzichtet monsieur weiß auf die erde.