Augenjucken
Iryna Fingerova

Ich bin eine Frau mittleren Alters, habe ein mittleres Einkommen und ein mittelstark behaartes Gesicht. Und ich habe Schwächen, von denen ich erzählen möchte: Der Geruch von Feta raubt mir den Verstand und ich liebe es, mir das linke Auge zu kratzen. Wenn ich es lange genug kratze, wird mir nämlich höllisch wohl zumute. Ich gönne mir das selten, damit der Effekt erhalten bleibt.

Wenn es juckt, reiße ich mich erst lange zusammen. Herrgott, wie ich mich dann quäle! Ich stelle mir vor, wie ich mich in einem Flugzeug kratze, auf dem Dach, im Kino, versteckt in der letzten Reihe. Mit der rechten und dann mit der linken Hand, mit dem alten Tuschepinsel …

Ich reiße mich lange zusammen, aber irgendwann kommt der Tag, da fange ich einfach an, mir das Auge zu kratzen. Und plötzlich steht die Zeit still, die Realität zieht sich in die Länge, wie der Bananenbaum auf meinem Bildschirm, wenn ich nur die richtige Tastenkombination erwische.

Ich gestehe, ich müsste schon seit mindestens einer Stunde im Pendlerzug »Familie-Arbeit« sitzen, aber ich bin noch immer daheim. Die Welt kann warten. Ich kratze mir jetzt das Auge. Einmal angefangen, kann ich nicht wieder aufhören, ich bin im Badezimmer, vor dem Spiegel und kratze mich immer weiter, weiter … Und schließlich tritt ein, worauf ich die ganze Zeit so sehr gewartet habe – ich weine.

Wie stressig mein Leben doch ist. Jetzt, wo mein Auge bekommen hat, was es wollte, kommen die Tränen. Und mit den Tränen schrumpft auch der drückende Kloß in meinem Hals, die Brust wird leichter, sogar die drei Fliegen, die in meinem Auge die Ewige Ruhe zu finden hofften, wurden auf meine Wange gespült.

Meine Gedanken sind jetzt klar und deutlich. Noch gestern habe ich gedacht, dass es vielleicht keine schlechte Idee wäre, unseren Nachbarn Fegerich mit seinen knöchernen und behaarten Fingern mal an mein Auge zu lassen. Und heute? Einfach lächerlich! Das ist so eine Art Test: Wenn jemand nur attraktiv erscheint, so lange einen das Auge juckt, kann man ihn gleich vergessen.

Ich komme aus dem Badezimmer, schlüpfe in die Schuhe und denke mir: »Eigentlich ist es nicht richtig, dass ich mir das Auge kratze. Dafür ist es doch nicht da.« Ich schließe die Tür. Schaue nach dem Telefon, den Schlüsseln, drücke die Türklinke herunter, zum dritten Mal in den letzten paar Minuten. Ich bin niemals sicher, ob ich zugemacht habe. Ich seufze. Jetzt heißt es rennen. Ich komme überallhin zu spät!

Merkwürdig – wenn einem das Auge juckt, denkt man an nichts anderes mehr, keine Kraft. Solange du dich kratzt, hast du das Gefühl unsterblich zu sein, aber sobald du fertig bist, wird dir klar: Du bist sterblich, sterblich und noch einmal sterblich. Und es bleibt dieser grausige Gedanke: Da bin ich also und lebe in einer Welt, die aus dem Nichts kommt, weiß nicht, wohin ich gehe, kaufe und werfe weg, kaufe und werfe weg, und nur einer Sache bin ich mir sicher: Wenn der Magen knurrt, heißt es essen, wenn das Auge juckt – kratzen.

Und dann ein bisschen weinen.
Und dann zum Zug rennen und auf gar keinen Fall zu spät kommen.