Auf mondbeschienenem Pfad
Heinz Weißflog zu Eleonora Gehrisch

Mit ihrem Debüt-Gedichtband »Mondsüchtig / Balustradengesänge«, erschienen im PopVerlag, bekundet die Dresdner Autorin Eleonora Gehrisch ihre Vorliebe für die sinnliche Metaphernpracht der lateinamerikanischen Dichtung, aber auch die Kenntnis deutscher Dichtertradition der Romantik und des Expressionismus, glücklich bestärkt durch den Chilenen Neruda und den Mexikaner Paz und andere, deren Ursprungsländer sie zum Teil auf Reisen besuchte und deren Sprache sie studiert und lieben gelernt hat. Als vergleichende Philologin (Indogermanistin und Übersetzerin) interessiert sie das im Mythos verankerte Wort, das seinen Ursprung hinter einem geheimnisvollen Schleier offenbart, aber auch das südliche Sprechtemperament mit all seiner Fülle erotischer und vegetativer Metaphernschöpfungen. Mond und Sonne erfüllen die Gedichte mit dem archaischen Zauber, verwandelt in Gleichnisse und Mythen. Die Spinne knüpft ihr Netz wie die heimlich Liebende. Augen, Hände, Umarmungen erfassen den Leib, und Fingerkuppen greifen nach dem blaufarbenen Geschlecht.

Gleich zu Beginn ihres Bandes, neben einer Porträtzeichnung des Dresdner Malers und Grafikers Hubertus Giebe platziert,  steht ein einführendes Liebesgedicht unter dem Titel »Nacht für Nacht«, in das das ganz Eigene der Dichterin eingeflossen ist, wie ein Auftauchen aus mentalen Verstrickungen, Verletzungen und Enttäuschungen einer unglücklichen Liebe, von Träumen und Sehnsüchten und dem beschwörenden Versuch, den Geliebten zurückzugewinnen, wenn auch nur im Wort, wenn es heißt:  »… gehst über Pflastersteine / über hügelige Landschaft, / die Berge hinauf bis zu den / Brunnen die wie Augen / leuchten, und mit deren / tränengleichem Wasser // du die getrockneten Lippen / benetzt. Bis du zurückkommst / zu mir in meinen Schlaf und / wir zusammen hinausfliegen / in den dunkelblauen Traum.« Die Gedichtwelt von Eleonora Gehrisch ist subtil und farbenreich, exotisch und regional, immer getragen von einer starken Gefühlserfahrung. In »Balustradengesänge« manifestiert sich ihr dichterisches Bekenntnis im »eterno reverse«, der ewigen Umkehr (dem Zurückblicken ins Vergangene) hermetisch verschlossen, inmitten einer balancierenden Musikalität der Sprache, in der in einem seltsamen Animismus die Dinge lebendig werden, der an geheime Mythen in Peru erinnert. Eleonora Gehrisch bereiste das Land vor Jahren auf den Spuren der dortigen indigenen Gesänge. Ihre Sprache ist an ein imaginäres Du adressiert, das Projektionsfläche für ihre Wortaffekte wird, die gebrochen, zum Teil in einem stockenden Rhythmus skandieren. Dort wo Klang und Rhythmus liedhaft anheben, erreichen ihre Verse eine besondere, merkbare Schönheit, wie in dem den Band abschließenden Gedicht »Ich liebte einen Stein«: Man spürt die eingeprägten, vielleicht unbeabsichtigten Einflüsse von Paul Celan, einen zwingenden, vorantreibenden, wortwiederholenden Textfluss, der sich am Ende selbst auflöst: »Ich liebte einen Stein / Ich liebte ihn gestern / Als er starb / Als er schon tot war / Als er von dem Weine trank / zu fünft, zu acht / Wortstumm, stirnfaltend / Als ich ihn ins Bett legte / Neben mich / Als sich von den Wänden abhoben / Bleierne Gesichter / Masken, grauen Blumen gleich.« Die beigefügten Farbzeichnungen der Dichterin bestärken die rätselhafte, surreale Stimmung in den Texten, sie heben sie auf eine andere Ebene, machen Gedanken und Gefühle in einer expressiven Farbigkeit seh- und vorstellbar. Der klare, unverbrauchte, reine Klang der Farben kommentiert das innere poetische Bild des Bandes.

Eleonora Gehrisch: »Mondsüchtig / Balustradengesänge«, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021, 53 Seiten, 14,50 Euro, ISBN: 978-3-86356-343-1.