Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
»Ich habe viele Gangarten geübt, / damit ich halbwegs mit / der Zeit mitgehen kann«, dichtet Franz Hodjak, der dieses neue OSTRAGEHEGE eröffnet, »und ich / kann in einigen Sprachen / mitreden, wenn es um die / verschiedenen Gangarten geht.« Er umreißt den Bereich des Übergangs, in dem alle Literatur und Kunst zu Hause ist. Einen Beitrag zum Rilke-Jahr leistet in diesem Sinne Bertram Reinecke, der das berühmte Kalckreuth-Requiem in sein eigenes lyrisches Idiom übersetzt: »Allein der Vers zeigt uns: zum Hang hinunter / zwang dich verstärkt die Lese der Begriffe« – und dabei zum Teil sogar kürzer ist als Rilkes Original: »Nur den Gedichten sehn wir zu, die noch / über die Neigung deines Fühlens abwärts / die Worte tragen, die du wähltest.«

Gewählte Worte, die sich mit dem Übersetzen geschichtlich-biografischer Bestände in eine zeitgenössische lyrische Sprache beschäftigen, findet auch Irina Bondas in der aktuellen Ausgabe der »Lagebesprechung«. »Diese Texte sind eine spekulative, erahnte Kollision eines immateriellen Erbes, wenn ein materielles fehlt«, schreibt die aus Kyjiw stammende Autorin, die in ihrer poetologischen Notiz in eine Selbstbefragung eintritt, die vom doppelten Wortsinn von »Ahnen« ausgeht – als Ahnung wie als Erbe. Felix Schiller, mit dem wir den neuen Gastredakteur unserer Lyrik-Kolumne herzlich willkommen heißen, spricht von einer »Seelendurchreiche«, die »auch die Sprache schärfer schleift und durchsichtiger macht«.

Wir freuen uns, der Lyrik im aktuellen Heft viel Raum einräumen zu können, mit gewichtigen Namen wie der rumänischen Dichterin Nora Iuga, den Dresdnern Gregor Kunz und Uwe Salzbrenner, aber auch Christine Pitzke oder Valerie Zichy, für die sprachliche Übergänge auch etwas Schmerzhaftes haben: »du übersetzt mich & der name klingt falsch«. Zu neuer Prosa von Marcus Klugmann und Patrick Beck gesellt sich Karin Großmanns Interview mit Kerstin Hensel, in dem die Schriftstellerin ausführlich Auskunft über ihre sächsische Herkunft und das Glück des Fabulierens gibt.

»Wer bringt noch die Zeit und Konzentration auf, mit den Augen gemessenen Schrittes durch eine gemalte Landschaft zu wandern oder den Ausdruck einer porträtierten Person in deren Augen zu erlesen?«, fragt Johannes Schmidt rhetorisch angesichts der Kunst von Constanze Deutsch im aktuellen Heft: »Vertrautes, Beiläufiges, Poetisches und Banales vermischen sich mit Anleihen aus Popkultur, Kunstgeschichte und Religion. Dazwischen finden sich immer noch Wortfetzen und Textfragmente.« Diese »Gangarten« des »Pandämoniums« der Dresdner Künstlerin erschließen sich nicht auf den ersten Blick.

Wir wünschen eine anregende Lektüre.

Die Redaktion