Die Scheibe
Gundula Sell

Der Sonn

Etwas schlägt ein Auge auf. Sieht umher.
Findet dies und das zu verbessern,
grünt das Gras, rötet die Beeren, wärmt die Gesichter,
lässt alles entstehn und geschehn.
Etwas betrachtet uns von mehreren Seiten,
bewirkt Gutes und Schlimmes, sieht unser Flehen mit an.
Lässt gleichmütig Geschichten und Gesänge entstehen,
in denen wir seine Macht besingen.
Etwas verbirgt sich mitunter. Mitunter für lange.
Aber wir ahnen: Etwas ist immer noch da.
Etwas schließt ein Auge, und alles wird dunkel.
Würde es uns helfen, wenn wir wüssten,
ob Etwas zufrieden war mit dem Tag und mit uns?
Wir wissen nur, dass wir zufriedener sind
mit den Gesängen und Geschichten und
der Hoffnung, es käme am Morgen erneut.

Die Mondin

Nenn es ein Geheimnis, das jeder teilt:
Jenes tröstliche bisschen im Dunkeln,
jenes Kaum-Weniger als die völlige Furcht,
das, was den Unterschied macht, diese Finger
die streicheln und wegweisen und alles
erklären, so dass es erklärt scheint
in diesem schweigsamen Halbdunkel
und verloren am Morgen, schon die Frage verloren.
Jenes zögernde, wachsende, schwindende,
jenes wankelmütige Wesen, an dem du
zweifelst und wagst zu verzweifeln nicht,
auch wenn es fort ist und du es nicht über dich bringst,
die Weisen zu fragen, was dein Fehler war,
das es fortbleibt, für immer vielleicht

Die zweiunddreißig Sterne

All das gut verteilte Gold,
alle Versuche einer wahren Ordnung,
alle Weissagungen gezähmt,
all das Suchen nach Sicherheit –
»Dass uns auch nicht eines fehlet«,
eine Speisekammer voll Hoffnung,
ein Tellervoll wenigstens für morgen,
auf dem Löffel die Linsen –
als könnte die sorgsam gehämmerte
Anordnung nach menschlichem Muster das
Stolpern verhindern, beim Stoßen an
einen Stein beim Blick nach den Sternen –
Und wenn du fällst, leuchten sie doch,
oben, die volle Zahl, ist mit allem gerechnet

 

[Auszug]